„Prosit“ Freiheitspumpe

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Gerade im neuen Jahr 2024 angekommen kneift mich heute Morgen mein eigener Anspruch mental in den Arm und erinnert mich an meine gestalterische Freiheit. Puh, mein letzter Beitrag ist schon 7 Tage her. Hatte ich mir nicht fest vorgenommen jeden Tag einen – zumindest kleinen – Beitrag in die Welt zu bringen.

Ich muss – und kann wahrscheinlich – nicht jeden Tag einen Blogbeitrag veröffentlichen. Denn dann wäre der natürlich Freiheitsfluß durch mein Eingreifen unterbrochen.

Ich wäre augenblicklich im „Produktionsstress“ und ich würde sozusagen nach und nach in mirdurch michvon mir – selbst dissoziiert.

Noch vor einer Minute hätte ich diesen Satz nicht für möglich gehalten. Und nun freue ich mich wie ein kleines Kind darüber das er mir aus den Fingern geflutscht ist. Kurzer Moment des Hinspürens.

Tatsächlich ist im Bezug auf den Freiheitsbegriff hier für mich die zentrale Frage: Wer ist hier der Schöpfer und wie genau verläuft der Prozess des in die Welt bringens eigentlich ab?

Ich erlebe dies mittlerweile als eine Art Geburtsprozess. Ich kann spüren dass da in mir etwas „unterwegs“ ist, ich kann spüren wie es wächst … nur den „Zeitpunkt der Geburt“ kann ich nicht wahrnehmen, erahnen oder etwa bestimmen.

Früher war ich ungeduldig und habe mich selbst unter Druck gesetzt – bis ich den kreativen Schöpfungsprozess besser verstehen lernte und begriff dass das Gras nicht schneller wächst, wenn ich daran ziehe!

Und irgendwann im Laufe meiner musikalischen Entwicklung begegnete mir dann der Merksatz:

Die Musik, die ich mache ist nicht für die Anderen bestimmt – Die Musik die für die Anderen bestimmt ist, ist nicht von mir!

Vor allem der letzte Satz übte von Anfang an eine große Faszination aus. Irgendetwas resonierte da in mir und ich wollte dieser Resonanz nachgehen. Ich schaute in meine musikalische Vergangenheit und verstand, dass „mein“ musikalischer Ausdruck im Grunde so eine Art Therapie war. Um nicht an den Verletzungen der strukturellen Gewalt – die ich schon seit meiner Kindheit intuitiv wahrnahm – zugrunde zu gehen, nutzte ich die Musik als Ventil die zerstörerische Energie auszuleiten. Diese Musik war tatsächlich nicht für Andere gedacht.

Die Rückmeldungen zu der der damaligen Musik waren dementsprechend krass. Da ich den Merksatz zu der Zeit noch nicht kannte, wendete ich die demotivierenden Rückmeldungen natürlich gegen mich und verurteilte mich dazu ein „schlechter Musiker“ zu sein.

Zum Glück war das Lebendige in mir so stark, dass ich trotz alle gescheiterten Versuche nach mehr oder weniger langen Pausen immer wieder aufstand und nicht anders konnte als einen neuen Versuch zu wagen. Ich lernte immer mehr meinen Anspruch an mich loszulassen und den der Umwelt an mich abzublocken.

Es hat mindestens ein Jahrzehnt gedauert bis ich durch die Aussage: Spiel doch mal was von Bob Dylan! nicht in die Depression getrieben wurde, sondern antworten konnte: Wenn Du Bob Dylan hören willst, kauf Dir eine Schallplatte von Ihm oder eine Konzertkarte!

Ok, in Wirklichkeit habe ich diesen Satz nur ein Einziges mal in der Öffentlichkeit gesagt und mich danach musikalisch für mehrere Jahrzehnte in meine eigene Welt zurückgezogen. Es gibt auch heute noch viele Menschen in meinem Umfeld die nicht wissen, das ich auch – oder vielleicht eher in Wirklichkeit – Musiker bin.

Dabei erlebe ich mich mehr und mehr nicht mehr als Musiker der etwas erreichen will. Sei es eine perfekte Komposition, eine riesige Schar von Followern oder eine Summe an Geld. Durch und mittlerweile in der Musik erfahre ich das große Loslassen im Augenblick – das Zulassen der Lücke zwischen den Gedanken. Selbst beim tausendsten Spielen des Tons C erscheint er mir tatsächlich immer wieder Neu und Frisch … als wenn er erst in dem Moment in diese Welt gekommen ist. Und wenn es mir gelingt in den Augenblick einzutauchen und das Gestern und Morgen völlig loszulassen, befinde ich mich im endlosen Stream der Ewigkeit des Lebens …

Auch wenn es sich jetzt so liest als wenn dieser Weg sehr schmerzhaft und beschwerlich war, so will ich keinen Moment davon missen. Denn durch diesen – zum Glück sehr langsamen – schöpferischen Geburtsprozess bin ich mir selbst Schritt für Schritt – manchmal auch kriechend – näher gekommen.

Die Musik war und ist sozusagen in meinem Leben immer eine Art Geburtshelfer – anders gesagt „Meine Freiheitspumpe“ – gewesen, die mich dabei unterstützt meine wahres Ich herauszuarbeiten.

Und seit kurzem scheine ich tatsächlich in der Lage zu sein Musik in die Welt zu schöpfen, die für die Anderen ist:

Denn mein grösstes Weinachtsgeschenk war wohl die Mail einer guten Freundin, die mich fragte, ob Sie ein kleines Musiksnipet von mir an gute Freunde weiterleiten dürfe. Dieses kleine Snipet würde Sie sehr berühren.


Nach einer kurzen Schreibpause von diesem Beitrag erscheint gerade spontan ein neuer Gedanke auf meinen Begriffsradar: Ich habe diesen Prozess nun wohl so oft durchlaufen, dass er in mich gefallen ist und ich sagen kann:


Ich bin Freiheitspumpe.