Warum die Marktwirtschaft nicht einfach zerstört werden kann!

   Lesezeit 10 Minuten

Angenommen es wäre wirklich sinnvoll die Marktwirtschaft zu zerstören?

Wen oder was müssten wir dann zerstören?

Für mich gibt es die Marktwirtschaft an und für sich nicht! Sie ist keine Person, auch keine juristische, sie ist keine Firma oder ein Verein, sie ist zuerst mal “nur” ein Begriff und ein kulturelles Phänomen. Und innerhalb einer Kultur wird die Bedeutung dieses Begriff immer wieder durch handeln neu interpretiert.

Dabei ist es aus meiner Sicht wichtig wahrzunehmen, dass zuerst die Handlungen stattfinden und dann unser Verständnis von dem Begriff dann nach und nach, fast unmerklich, seinen Wandel vollzieht. Wie ich in Neue Narrative braucht das Land schon angedeutet habe, gibt es sehr unterschiedliche Verständnisse von dem Begriff “Marktwirtschaft“. Und ohne jetzt festschreiben zu wollen welche das “Richtige” ist, geht es mir im ersten Schritt nur darum die Kluft zwischen den Begriffsverständnissen mindestens so weit zu schmälern, dass wir wieder in einen dialogischen Prozess zwischen den Generationen eintreten können.

Um die Transformation einigermaßen pünktlich hinzubekommen, brauchen wir alle Frauen an Deck (die Männer später auch – sag ich mal ganz frech als Heulsuse) und da können wir es uns in der gegenwärtigen Situation nicht leisten über die Hälfte der Bevölkerung schon beim ersten Kontakt quasi auszuschließen.

Außerdem ist es überhaupt keine schlaue Strategie die “angstmachende” Rhetorik der aktuell herrschenden Politikerklasse – ja das sind immer noch überwiegend Männer – zu übernehmen. Angst ist überhaupt kein guter Berater. Die Chancen die Menschen für einen lebensbejahenden und freudigen Übergang in eine wirklich lebensfördernde und urururururenkeltaugliche Wirtschaft zu begleiten sind noch nie so groß gewesen wie im Augenblick.

Schon 2008 hielten nur noch 13 % der Bevölkerung unsere Wirtschaftssystem für gerecht und dennoch konnten sich 87 % keine bessere Alternative vorstellen.

Die überwältigende Unsicherheit, die es scheinbar in unserem Kulturkreis gibt, belegt für mich eindrücklich das es bisher keine wirklich wahrnehmbare Alternative gibt. Viele Menschen, die wie ich aus dem letzten Jahrtausend stammen, kennen als einzige Alternative zum Bestehenden nur den Kommunismus. Und ohne das jemand – auch ich nicht – wirklich weiß, was das in der Realität bedeutet, ist es Teil unserer Lebenswirklichkeit dass es scheinbar gescheitert ist. Ich kann und will nicht behaupten, dass er nicht funktioniert, sondern lediglich darstellen, dass wir als Generation aus praktischer Erfahrung einfach nur die sogenannte “freie Marktwirtschaft” kennen.

Ich verstehe die Sehnsucht nach einer Zukunft in der all die “Ursachen” , die scheinbar der Grund der Misere sind, einfach abgeschafft sind. Ich trage sie ja auch in mir. Und dennoch gilt es im Blick zu behalten, das ohne ein gemeinsames, vor allem generationenübergreifendes Verständnis worüber wir sprechen, wenn wir den Begriff “Marktwirtschaft” nutzen mindestens eine Zweiklassengesellschaft entsteht.

Die Einen fühlen sich ohne Marktwirtschaft ihrer Lebensgrundlage beraubt und die Anderen fühlen sich mit der Marktwirtschaft um ihre Zukunft betrogen.

Für meine Generation und die meiner Eltern, die langsam aber sicher ausstirbt, war die “Soziale Marktwirtschaft“, die ja auch immer mit dem Begriff “Freiheit” assoziiert war, einfach zu allen Zeiten unseres Lebens der Garant für Fortschritt und Wohlstand. Daher ist es doch kein Wunder das wir erst mal Widerstände haben die Marktwirtschaft zu zerstören oder auch nur sie abzulösen.

Denn bevor ich etwas Altes loslasse, braucht es für Viele ein praktisch erfahrbares Neues in das ich mich vorsichtig spürend immer weiter einlassen kann.



Mein sehnlichster Wunsch ist es zuerst mal gedanklich Frieden zwischen allen Generationen zu schließen und in der nächsten Zeit an einem gemeinsamen Verständnis zu arbeiten:

  • Was ist die historische Grundlage des Begriffs Marktwirtschaft?
  • Was sind die konstruktiven und lebensförderlichen Bestandteile des Konzepts?
  • War die Marktwirtschaft wirklich immer (oder nie) von Freiheit durchdrungen?
  • Was bedeutet Marktwirtschaft in der heutigen Zeit?
  • Leben wir wirklich noch in einer Marktwirtschaft?
  • Welche Einflussfaktoren sind in den letzten Jahrzehnten dazugekommen?
  • Welche Wirkungen habe sie gehabt?
  • Welche davon sind wirklich förderlich und wollen von uns beibehalten werden?
  • Welche davon sind destruktiv und sollten schleunigst abgeschafft oder zumindest eingehegt werden?

Auf meiner mittlerweile schon über 30 Jahre dauernden Forschungsreise habe ich gelernt, dass Begriffe nie eindeutig definierbar sind, sondern immer im Zusammenhang mit der gelebten Kultur verstanden werden müssen. Kultur existiert nur in gelebten Handlungen von Menschen. Und aus diesem, von uns allen täglich gewebten, Handlungsnetz entsteht dann auch die Bedeutung von Begriffen.

Insofern ist es in meiner Wahrnehmung wirklich wirklich nicht möglich die Marktwirtschaft zu zerstören. Denn “Die Marktwirtschaft” gibt es nicht.

Wenn wir in die Geschichte der Menschengemeinschaft zurückschauen, so können wir eine Marktwirtschaft entdecken, die noch nicht dissoziiert ist und den noch gelebten Beziehungen eine Transparente Austauschplattform bietet. Dabei ist natürlich nicht die Marktwirtschaft dissoziiert, sondern die Menschen die das kulturelle Phänomen “Markt” mit ihren Handlungen täglich reproduzieren.

Heinzpeter Znoj hat Ende der 80 er Jahre in einem abgelegen Teil von Summatra die Schicksale von zwei Dorfgemeinschaften untersucht, die sich trotz sehr ähnlicher Gründungssituationen, in völlig gegensätzliche Richtungen entwickelt haben. Er lebte einige Jahre mit den Menschen und beobachtete ihren Umgang miteinander. Vor allem ihr Austausch auf den Märkten war für ihn hochinteressant. Denn er verstand nach einer Zeit, dass die Menschen dort eine abstrakte Wertebene (Geld) nicht kannten.

Huhn bleibt Huhn und Reis bleibt Reis 1 Heidi Lehner, Geld und Gemeinschaft S.2 – Moneylab 2020

Er unterschied in liquidierende und nicht liquidierende Transaktionen und stellte bei den nicht liquidierenden Transaktionen folgendes fest:

  • Es wird mehr oder weniger bezahlt oder auch gar nichts
  • Es wird nicht exakt gezählt. Die Menschen helfen sich tageweise bis die Arbeit fertig ist und geben Reis im ungenauen Maß “Handvoll” heraus ohne zu wiegen.
  • Es gibt keinen allgemeingültigen Preis, sondern jeweils nur eine Vereinbarung zwischen zwei Menschen für diesen speziellen Augenblick. Weil Huhn immer Huhn bleibt, gibt es keinen Preis. Und dies gelingt den Menschen dort nur, da sie kein Geld kennen. 2 Heinzpeter Znoj – Tausch und Geld in Zentralsummatra – Reimer 1995

Für mich belegen seine Erkenntnisse, dass nicht der Markt oder die Marktwirtschaft von sich aus die destruktiven Prozesse in der Gesellschaft entwickelt oder unterstützt, sondern entscheidend ist, wie wir Menschen in ihr handeln.


In meinem persönlichen Erleben findet sich auch eine lebensfreundliche Wahrnehmung der Marktwirtschaft. Denn zuerst einmal ist der “Markt” im Praktischen ein Ort an dem Menschen sich treffen und Dinge des alltäglichen Gebrauchs oder auch Lebensmittel sichtbar machen. Und mit und durch die Dinge die dort sichtbar werden, kann frau wirtschaften im Sinne einer Haus-Wirtschaft. Dinge die in einem Haushalt nicht mehr genutzt werden, können an einen andere Gemeinschaft weitergegeben werden. Überschüssige Lebensmittel können an jemand weitergegeben werden, der sie kurzfristig verbrauchen kann.

Und das faszinierende bei einem realen Markt: Man trifft Menschen, die man länger nicht gesehen hat, erfährt Neuigkeiten aus der Gemeinschaft und kann sogar gemeinsam viel Freude empfinden, wenn der Markt auch noch mit kulturellen, kulinarischen und musikalischen Darbietungen verknüpft wird. Ich erinnere mich so gerne an die Markttreffen unseres Tauschringes in den 90 ern. Lebendiges Miteinander, Inspirierende Gespräch herrliche Düfte und ich habe immer etwas mitgenommen, vom dem ich vorher nicht wusste, das es dies gibt oder das ich es nutzen wollte. Meistens waren dies neue Themen oder hilfreiche Kniffe, wie ich ein lästiges Alltagsproblem viel einfacher lösen kann.

Erst viel zu spät erkannte ich, das die eigentliche Kraft der Tauschringe die vielfältigen Austauschbeziehungen bei den realen Begegnungen waren und nicht die Erfindung einer Phantasiewährung. Insofern ist es für mich auch kein Wunder, das die meisten Tauschringe sich nach und nach zu Nachbarschaftsinitiativen entwickelten.

So bin auch ich mittlerweile der Meinung, das die “Tauschringlogik“, es müsse jeder Tausch früher oder später ausgeglichen werden, in eine Sackgasse führt. So verabschiedete ich mich 2014 von dem Tauschmagazin und dem Begriff “Tauschring” um mich der Erforschung des Geldbegriffs zuzuwenden.

Die Hintergründe zu meiner Neuorientierung finden sich in meinem Buch “Faszination Tauschring“.

Wer noch mehr Leseenergie hat, kann auf meiner Webseite Andreas-Artmann alle Texte des Buches kostenlos lesen und auch noch eine Menge, diesem Blog vorausgehenden, Arbeiten zu dem Begriff des Geldes.

Dabei verstehe ich den Begriff als Hinweis auf ein wirkliches Begreifen in Form von alltagstauglicher, sozialer Praxis. Und die können wir, im Gegensatz zu jedwedem System, selbstorganisiert ändern.

Denn für mich ist die bewusste Erforschung unseres Gelddenkens immer noch essenziell.