Im Beitrag „Neue Narrative braucht das Land“ habe ich mich um etwas Wichtiges herumgeschlichen: Die tiefere Beschäftigung mit dem Begriff, der in der Transformationsbewegung – in meiner Wahrnehmung – oft missverständlich benutzt wird : Marktwirtschaft.
Vor allem das er – zumindest in meinem Erleben – oft mit Kapitalismus gleichgesetzt wird, bereitet mir doch schon einige „intellektuelle“ Schmerzen. Doch bevor ich mich auf diesen speziellen Begriff einlasse, möchte ich vorher ein Entdeckung teilen, die ich vor kurzem auf einem meiner Frischluftspaziergänge gemacht habe. Sie ist für mich Grundlegend und verfeinert für mich das Erarbeiten von Begriffsbedeutungen in der jeweiligen Zeit.
Grundsätzlich hat die Auseinandersetzung mit Begriffen im Laufe meines Lebens eine immer größere Rolle eingenommen. Der erste Impuls, sich der Erforschung vom Begriff des Begriffs zuzuwenden, entstand nach dem Lesen von Joseph Beuys „Aufruf zur Alternative“ in der Frankfurter Rundschau vom 23.12.1978. Er schrieb von der „Revolution der Begriffe“ und löste damit bei mir erst mal eine Vollsperrung der Synapsen aus. Revolution – Nee, das wollte ich nicht, auf keinen Fall. Und doch ließ mich dieser Satz nicht mehr los. In der Beschäftigung mit Beuys „Erweitertem Kunstbegriff“ bekam ich nach und nach ein immer tieferes Verständnis davon, wie die Erweiterung von Begriffen auch unser Bewusstsein über das Leben weitet. Wahrscheinlich erst während der Rezipitation von Marcel Mauss, der sich die Welt nicht über Tatsachen, sondern über die Erforschung von Begriffen erschloss, wurde mir die Wirkmächtigkeit von Begriffen in der Tiefe bewusst.
Im Grunde bin ich mindestens seit zwei Jahrzehnten oft in der Begriffspyramide unterwegs und habe es bisher nicht bewusst wahrgenommen. Doch bei eben besagten Spaziergang sah ich sie förmlich vor mir. Und als ich Zuhause ankam fertigte ich die unten stehende erste Skizze.
Mir macht diese Visualisierung mehrere Dinge wunderbar klar:
- Es gibt kein absolutes Begriffsverständnis, sondern nur einen Begriffsraum, der sich über die Zeit und die kulturellen Veränderungen ständig entwickelt. Dabei wird der Begriffsraum teilweise erweitert oder auch wieder verkleinert. Sehr spannend war für mich die Entdeckung der Etymologie und vor allem, dass sich Begriffe teilweise in der Bedeutung in ihr Gegenteil verkehrt haben.
- Jeder Mensch befindet sich an einer anderen Stelle im Begriffsraum und es ist klug sich immer wieder zu versichern, das die Positionen der sich austauschenden Menschen im Begriffsraum nicht gar so weit auseinander liegen. Denn viele endlosen Diskussionen bedingen sich einfach aus dem nicht geklärten Begriffsverständnis. Der Dialog Prozess ist eine Möglichkeit die Begriffsräume zu synchronisieren und / oder sogar in bisher unbekannte Bereiche zu erweitern.
- Erst wenn sich die eigenen Erfahrungen und das Bewusstsein über oder für einen Begriff überschneiden, entsteht ein gemeinsamer Erkenntnisraum in dem dann eine tiefere Verständigung stattfinden kann.
- Je weiter ich /wir den Begriffsraum erfahrend erforsche/n, desto größer ist die Chance sich mit anderen Menschen im selben Erkenntnisraum zu bewegen und wirkliche Gemeinsamkeit zu erleben.
Die Begriffspyramide
Entdeckt habe ich Sie als ich den Begriff „Faulheit“ durchdringen wollte. Immer wieder tauchte im Radio dieses negative MANTRA auf: Wir müssen das Bürgergeld absenken, damit es sich wieder lohnt zu arbeiten. Und vor allem: Das Bürgergeld ist so hoch, dass es fast nur noch faule Menschen gibt. Das Problem ist also die Faulheit. Darauf, dass ja teilweise die eigentlich Faulen die „GELDeigentümer“ sind, gehe ich heute nicht näher ein.
Viel wichtiger ist mir heute die „Doppelte Begriffspyramide„, die aus meiner Sicht ein Werkzeug sein könnte, aus den vielfach wirkungslosen Debatten auszusteigen und in einen wirklichen dialogischen Prozess einzutreten.
Dabei hat die hier abgebildete Begriffspyramide drei Eckpunkte. Ich kann mir vorstellen, das es andere Begriffssituationen gibt, in denen es mehr Eckpunkte geben wird. Das für mich Wichtige zeigt sich aber schon bei drei Begriffen.
Die ersten Schritte in die richtige Richtung konnte ich gehen als ich einem Kollegen meine Erfahrungen zum Thema Faulheit nahe bringen wollte. In meinem Leben habe ich wenige Menschen erlebt, die wirklich „Faul“ im oben angeführten Sinne von Verweigern waren. Und ich finde es total spannend, wie – ok, manche – Politiker es immer wieder schaffen total unbegründeten Nonsens zu verbreiten und damit die Schlagzeilen der Medien zu füllen. Natürlich sind die Konsumenten dieses Theaters auch beteiligt. Denn ohne Publikum kein Auftritt.
Und nun wieder zurück zum eigentlichen Thema es Beitrags: Als erstes wird bei mir aus „Faulheit“ der Hilfsbegriff „Inaktivität„. Das ist neutraler und ohne Wertung. Dann frage ich mich, warum ist oder wird jemand Inaktiv:
- Er wird in seiner Eigenaktivität gestört. Er darf nicht frei entscheiden.
- Er hat aus Frustration aufgehört sich zu engagieren, da er immer wieder abgelehnt wird.
- Er ist Genügsam und braucht viel Zeit für sich und seine Seelenpflege, seine künstlerisch – musikalische Betätigung oder einfach die Muße.
Irgendwie wurde mir dann schon beim gehen klar, daß es eigentlich kaum Faulheit gibt, die nur aus sich heraus entsteht. Es gibt nur eine „bewertende“ Bezeichnung einer Inaktivität, die genutzt wird um Menschen ein schlechtes Gefühl zu machen. Menschen die sich schlecht fühlen, lassen sich leichter manipulieren. Denn wir alle tragen den Urimpuls des „sich gut fühlens“ in uns.
Das faszinierende an der Pyramide ist, dass sie sich in eine andere Dimension spiegelt. Sie kann sozusagen auf den Kopf gestellt werden. Dort befinden sich die negativen Begriffe. Ich habe die Begriffe die Begriffe Sucht, Depression und Faulheit gewählt. Wobei ich immer noch davon ausgehe, dass Faulheit nicht schlecht ist, sondern in unserer Gesellschaft nur mittlerweile „sehr negativ“ konnotiert wird.
Der Meister in meiner Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker pflegte immer zu sagen: Du kannst besser mit einem Faulen als einem Dummen zusammenarbeiten Der Faule macht es sich so einfach wie möglich, der Dumme vielleicht alles doppelt und dreifach.
Dabei verstehe ich diese Betrachtung insgesamt nicht als wissenschaftliche fundierte Methode, sondern ich nutze eher den Erkenntnisraum, der sich bei dieser spielerischen Herangehensweise im Innenraum der Pyramide für mich auftut.
Bisher haben wir allerdings nur ein zweiseitiges Dreieck. In „meiner“ Begriffspyramide wird nun von der Spitze her Macht ausgeübt:
Der Erschaffende: Oft werden bewusst einfach falsche Begriffsinhalte herangezogen um eine knallige Aussage für die Presse zu haben. Gerne wurde und wird diese Machtmethode auch von religiösen Kräften eingesetzt.
Der Verstärkende: Auf eine Verbesserung seiner eigenen Situation schielend, tutet man einfach in das gleiche Horn. Je mehr Menschen mit Ansehen in dieses Horn tuten, desto mehr Schuldgefühle entstehen.
Der Nutzende: Weiter unten in der Machthirarchie erhofft er sich durch mitmachen einen Vorteil für sich.
Der Leidende: Muss am Ende alles ausbaden und leidet sehr unter diesem Druck der aufgebaut wurde.
Nicht umsonst platzen die Depressionsstationen in Deutschland immer mehr aus Ihren Nähten.
Die Pyramide auf den Kopf stellen!
Für mich gilt es nun die Pyramide auf den Kopf zu stellen und von der anderen Seite der Pyramide von der Spitze her Kraft auszuüben. Statt mit dem Begriff „Faulheit“ Druck auszuüben, können wir mit dem Begriff „Genügsamkeit“ oder „Muße“ einen anderen Empfindungsraum aufmachen. Für unseren Co² Haushalt ist es doch total erstrebenswert „genügsam“ zu sein und viel mehr Zeit für die „Muße“ zu haben. Ja, dadurch wird das Bruttosozialprodukt sinken, aber nicht automatisch unsere Lebensqualität. Das ist ein weiterer Grund die Freiheitspumpe in sein Leben zu lassen und sich jeden Tag weiter auf die Unabhängigkeit vom „GELDdenken“ einzulassen.